BLICKPUNKTE

Roy Lichtenstein | Tapete mit Interieur mit blauem Fußboden, 1992 | ALBERTINA, Wien © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024 | Foto: ALBERTINA, Wien

Der Vermittlung von Kunst wird in modernen Ausstellungskonzepten besonders Rechnung getragen. Um Kunst einer breiten Öffentlichkeit auf ebenso spannende wie leicht zugängliche Weise zu präsentieren, wird die Ausstellung um ein neues Instrument ergänzt:

Das neue Konzept Im Blickpunkt ermöglicht es, anhand einzelner abgeschlossener Themen die Vielfältigkeit der stetig wachsenden Sammlung aufzuzeigen. Der Jahrhunderte andauernde Dialog verschiedener KünstlerInnen und Stilrichtungen kann hier tiefergehend durch Querverweise erörtert werden. So ergeben sich neue Sichtweisen und Hinweise, die das Gezeigte in einen größeren kunsthistorischen und gesellschaftlichen Kontext versetzen.

Blickpunkt VALIE EXPORT

VALIE EXPORT zählt international zu den bedeutendsten Medien- und Performancekünstlerinnen. 1940 in Linz geboren, absolviert sie die dortige Kunstgewerbeschule, bevor sie 1960 nach Wien übersiedelt. Nach dem Abschluss der Höheren Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie realisiert sie ab 1967 erste performative Arbeiten. Diese entstehen im Umfeld des Wiener Aktionismus, der in den 1960er-Jahren durch radikale Aktionen klassische Gattungsgrenzen der Malerei aufbricht und bürgerliche Normen hinterfragt.

Die Künstlerin formuliert ihre Medienkritik ausdrücklich als feministische Kritik, die untrennbar mit der Hinterfragung der Repräsentation des weiblichen Körpers und der Rolle der Frau in einer patriarchalen Gesellschaft verbunden ist. Dadurch setzt sie sich deutlich vom expressiven Pathos dieser Bewegung ab Unter Bezugnahme auf den eigenen Körper untersucht EXPORT durch eine Vielzahl von Medien – etwa Fotografie, Video oder Zeichnung – gesellschaftspolitische Strukturen, die sich dem Körper auf schmerzhafte Weise einschreiben. EXPORT muss sich ihre Position in der Kunstszene hart erkämpfen. Kunst ist für sie kein Gegenentwurf zur Realität, sondern fordert subversiv eine neue Sicht der Realität. 1970 macht sie auf die fehlende Anerkennung von Künstlerinnen aufmerksam, indem sie selbstbewusst einen Künstlernamen vom Label der bekanntesten österreichischen Zigarettenmarke übernimmt.

Details

Aktionshose: Genitalpanik

Aktionshose: Genitalpanik nimmt in einer skandalträchtigen Expanded-Cinema-Aktion ihren Ausgang: Während eines Avantgardefilmfestivals geht VALIE EXPORT in einer im Schambereich ausgeschnittenen Hose durch die Sitzreihen eines Kinosaals. Die Grundidee, den Voyeurismus des Publikums zu spiegeln. Darin posiert EXPORT abermals in entblößender Hose, spitzt aber die Konfrontation durch eine männlich konnotierte Ausstattung und Pose zu: Mit gespreizten Beinen, Lederjacke und Maschinengewehr untergräbt EXPORT weibliche Stereotype. Jene Aufnahme, die aufgrund ihrer frontalen Perspektive auf die Künstlerin und den direkten Blick EXPORTs in die Kamera besonders provokativ ist, plakatiert sie im öffentlichen Raum. In einer aktionistischen wie medienreflexiven Geste erweitert EXPORT damit ihr Publikum vom konkreten Publikum im geschlossenen Kinosaal zu allen potenziellen Betrachtern im öffentlichen Raum.

I beat it

Die Installation I beat it von 1980 geht auf eine Aktion Valie EXPORTS zurück. Diese folgte einer genauen Partitur: In einer Wanne, die mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt ist, schwimmt eine lebensgroße Fotografie der Künstlerin. Ihre Arme und Beine sind mit Bleibändern gefesselt. Neben dem Becken steht ein Kanister, der ursprüngliche Behälter der Flüssigkeit.

Das aus drei Monitoren dringende Gekläff von Schäferhunden wird durch ein − einmal von einer Frau und einmal von einem Mann kommendes − »Mehr! Mehr!« abgelöst: Hinweis auf ein Mehr an gesteigertem Leid. Das Dreieck, das die Monitoren aufspannen und in dessen Achse die Frau schwimmt, signalisiert Trinität, Natur, aber auch männliche Ideologie. Dass sich die Künstlerin während ihrer Aktion im Jahr 1978 nicht bewegen kann, unterstreicht die Rolle der Frau „als abhängige Marionette der sozialen Maschinerie“. Die Ambivalenz zwischen ruhiger Bewegungslosigkeit und Erniedrigung bleibt auch in der Installation erhalten. Stillgestellt und erniedrigt zu werden bedeutet für EXPORT auch, Schmiermittel einer Kommunikation zu sein, die reibungslos sein soll.

VALIE EXPORT – SMART EXPORT Selbstportrait

Im Alter von 27 Jahren wählt die Künstlerin, die mit bürgerlichem Namen Waltraud Höllinger (geb. Lehner) heißt, den Namen VALIE EXPORT. In Großbuchstaben geschrieben und urheberrechtlich geschützt, dient diese Marke der Befreiung sowohl vom Nachnamen des Vaters als auch von dem ihres einstigen Ehemanns, wodurch sie sich innerhalb einer von Männern dominierten Kunstszene selbstbewusst als Künstlerin positioniert. Die von der freiberuflichen Amateurfotografin Gertraud Wolfschwenger festgehaltene Selbstinszenierung VALIE EXPORT – SMART EXPORT Selbstportrait spitzt das Thema der Selbstbehauptung spielerisch zu. Mit qualmender Zigarette und männlich konnotierter Pose hält EXPORT eine zur ihrer eigenen Marke umgestaltete Smart-Export-Zigarettenpackung in die Kamera; als Marke wählt sie ihren Vornamen, als Logo ein Foto ihres Gesichts.

TAPP und TASTKINO

Das 1968 in Wien aufgeführte TAPP und TASTKINO zählt zu VALIE EXPORTs frühesten Aktionen, die vom Expanded Cinema, der Erweiterung von Film und Kino, geprägt sind. Für die aufsehenerregende Aktion schnallt sich EXPORT eine als „Kinosaal“ dienende Box mit Vorhang vor ihren nackten Oberkörper. Ihr Künstlerkollege Peter Weibel fordert Passanten dazu auf, in den Kasten zu greifen und EXPORTs Brust für eine exakt vorgegebene Zeitdauer zu berühren. Der Körper wird zur Leinwand und dadurch als taktiles Ereignis erfahrbar. Die Besucher des TAPP und TASTKINSOs halten dabei mit der Künstlerin direkten Blickkontakt, wodurch der herkömmlicherweise durch den abgedunkelten Kinosaal geschützte voyeuristische Blick auf den Körper der Frau offengelegt wird.

Für die inszenierte Fotografie greift ein Kollege EXPORTs stellvertretend für spätere Betrachter in die Box. Die später aufgezeichnete Videoaufnahme des TAPP und TASTKINOs entsteht extra für das österreichische Fernsehen.

Zur Ausstellung

VALIE EXPORT | Aktionshose: Genitalpanik, 1969 | Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg · Seoul | © VALIE EXPORT, Bildrecht, Wien 2024 | Foto: © Peter Hassmann, Bildrecht, Wien 2024
VALIE EXPORT | Aktionshose: Genitalpanik, 1969 | Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg · Seoul | © VALIE EXPORT, Bildrecht, Wien 2024 | Foto: © Peter Hassmann, Bildrecht, Wien 2024
VALIE EXPORT | VALIE EXPORT - SMART EXPORT Selbstportrait, 1970 | ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection | © VALIE EXPORT | Bildrecht, Wien 2023 | Foto: © Gertraud Wolfschwenger, Bildrecht, Wien 2023
VALIE EXPORT | VALIE EXPORT - SMART EXPORT Selbstportrait, 1970 | ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection | © VALIE EXPORT | Bildrecht, Wien 2023 | Foto: © Gertraud Wolfschwenger, Bildrecht, Wien 2023
VALIE EXPORT | TAPP und TASTKINO, 1968 | ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection | © VALIE EXPORT, Bildrecht, Wien 2024 | Foto: Werner Schulz
VALIE EXPORT | TAPP und TASTKINO, 1968 | ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection | © VALIE EXPORT, Bildrecht, Wien 2024 | Foto: Werner Schulz
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Aktionshose: Genitalpanik

Aktionshose: Genitalpanik nimmt in einer skandalträchtigen Expanded-Cinema-Aktion ihren Ausgang: Während eines Avantgardefilmfestivals geht VALIE EXPORT in einer im Schambereich ausgeschnittenen Hose durch die Sitzreihen eines Kinosaals. Die Grundidee, den Voyeurismus des Publikums zu spiegeln. Darin posiert EXPORT abermals in entblößender Hose, spitzt aber die Konfrontation durch eine männlich konnotierte Ausstattung und Pose zu: Mit gespreizten Beinen, Lederjacke und Maschinengewehr untergräbt EXPORT weibliche Stereotype. Jene Aufnahme, die aufgrund ihrer frontalen Perspektive auf die Künstlerin und den direkten Blick EXPORTs in die Kamera besonders provokativ ist, plakatiert sie im öffentlichen Raum. In einer aktionistischen wie medienreflexiven Geste erweitert EXPORT damit ihr Publikum vom konkreten Publikum im geschlossenen Kinosaal zu allen potenziellen Betrachtern im öffentlichen Raum.

I beat it

Die Installation I beat it von 1980 geht auf eine Aktion Valie EXPORTS zurück. Diese folgte einer genauen Partitur: In einer Wanne, die mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt ist, schwimmt eine lebensgroße Fotografie der Künstlerin. Ihre Arme und Beine sind mit Bleibändern gefesselt. Neben dem Becken steht ein Kanister, der ursprüngliche Behälter der Flüssigkeit.

Das aus drei Monitoren dringende Gekläff von Schäferhunden wird durch ein − einmal von einer Frau und einmal von einem Mann kommendes − »Mehr! Mehr!« abgelöst: Hinweis auf ein Mehr an gesteigertem Leid. Das Dreieck, das die Monitoren aufspannen und in dessen Achse die Frau schwimmt, signalisiert Trinität, Natur, aber auch männliche Ideologie. Dass sich die Künstlerin während ihrer Aktion im Jahr 1978 nicht bewegen kann, unterstreicht die Rolle der Frau „als abhängige Marionette der sozialen Maschinerie“. Die Ambivalenz zwischen ruhiger Bewegungslosigkeit und Erniedrigung bleibt auch in der Installation erhalten. Stillgestellt und erniedrigt zu werden bedeutet für EXPORT auch, Schmiermittel einer Kommunikation zu sein, die reibungslos sein soll.

VALIE EXPORT – SMART EXPORT Selbstportrait

Im Alter von 27 Jahren wählt die Künstlerin, die mit bürgerlichem Namen Waltraud Höllinger (geb. Lehner) heißt, den Namen VALIE EXPORT. In Großbuchstaben geschrieben und urheberrechtlich geschützt, dient diese Marke der Befreiung sowohl vom Nachnamen des Vaters als auch von dem ihres einstigen Ehemanns, wodurch sie sich innerhalb einer von Männern dominierten Kunstszene selbstbewusst als Künstlerin positioniert. Die von der freiberuflichen Amateurfotografin Gertraud Wolfschwenger festgehaltene Selbstinszenierung VALIE EXPORT – SMART EXPORT Selbstportrait spitzt das Thema der Selbstbehauptung spielerisch zu. Mit qualmender Zigarette und männlich konnotierter Pose hält EXPORT eine zur ihrer eigenen Marke umgestaltete Smart-Export-Zigarettenpackung in die Kamera; als Marke wählt sie ihren Vornamen, als Logo ein Foto ihres Gesichts.

TAPP und TASTKINO

Das 1968 in Wien aufgeführte TAPP und TASTKINO zählt zu VALIE EXPORTs frühesten Aktionen, die vom Expanded Cinema, der Erweiterung von Film und Kino, geprägt sind. Für die aufsehenerregende Aktion schnallt sich EXPORT eine als „Kinosaal“ dienende Box mit Vorhang vor ihren nackten Oberkörper. Ihr Künstlerkollege Peter Weibel fordert Passanten dazu auf, in den Kasten zu greifen und EXPORTs Brust für eine exakt vorgegebene Zeitdauer zu berühren. Der Körper wird zur Leinwand und dadurch als taktiles Ereignis erfahrbar. Die Besucher des TAPP und TASTKINSOs halten dabei mit der Künstlerin direkten Blickkontakt, wodurch der herkömmlicherweise durch den abgedunkelten Kinosaal geschützte voyeuristische Blick auf den Körper der Frau offengelegt wird.

Für die inszenierte Fotografie greift ein Kollege EXPORTs stellvertretend für spätere Betrachter in die Box. Die später aufgezeichnete Videoaufnahme des TAPP und TASTKINOs entsteht extra für das österreichische Fernsehen.

Robert Schaberl | ZF aubergine dance with warm rose 4-6 2019 (290x), 2019 | The ALBERTINA Museum, Vienna | © Robert Schaberl | © Photo source: Robert Schaberl
Robert Schaberl | ZF aubergine dance with warm rose 4-6 2019 (290x), 2019 | The ALBERTINA Museum, Vienna | © Robert Schaberl | © Photo source: Robert Schaberl
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Blickpunkt Das Tondo in der Kunst der Gegenwart

Der Kreis hat seit jeher eine besondere, ja mystische Bedeutung. Im Wörterbuch der Brüder Grimm heißt es: »Das Runde, besonders der Kreis und die Kugel, erweckt den Eindruck des in sich Abgeschlossenen, Fertigen, Vollkommenen.« Und bereits im Alten Ägypten symbolisierte der Uroboros – die Schlange, die sich in den Schwanz beißt – den Lebenszyklus, die ewige Wiederkehr. Von daher ist das kreisrunde Tondo – ob als Gemälde oder Relief – weit mehr als nur eine formale Spielerei.

Details

Trends sind wiederkehrend, sei es im Design, in der Mode, in der Musik oder Kunst: Auch in der Gegenwartskunst ist darum die Form der kreisrunden Scheibe gar nicht so selten, die von Florenz ausgehend erstmals im späten Quattrocento Karriere macht, als Ausdruck göttlicher Harmonie: Jeder Punkt bezieht sich auf das Zentrum, den Kreismittelpunkt– auch dies eine Wiederkehr, eine Rückkehr zum Ursprung.

Besonders in der Malerei der Renaissance gewinnen Tondi zwischen 1450 und 1510 zunehmend an Bedeutung. Das früheste klassische Rundbild ist La grande Pietà ronde des Niederländers Johan Maelwael aus der Zeit um 1400. Im ersten Jahrzehnt des folgenden Jahrhunderts schafft Michelangelo sein Tondo Doni, das als eine seiner berühmtesten Arbeiten in die Kunstgeschichte eingeht. Auch Raffael fertigt mit seiner Madonna della Seggiola – auch Madonna della Sedia – von 1514 ein wichtiges Tondo an. Über 400 Jahre bleibt das Phänomen des Rundbilds gänzlich verschwunden. Erst in den 1960er-Jahren, als amerikanische Künstler wie Frank Stella, Sol LeWitt und Jackson Pollock ihre »shaped canvases« entwickeln – »geformte Leinwände«, mit denen sie das ewig gleich rechteckige Tafelbild zu überwinden trachten –, gewinnt das Tondo wieder an Aufmerksamkeit. Heute erleben Tondi erneut ein Comeback. Immer wieder wählen internationale genauso wie österreichische Künstlerinnen und Künstler die runde Form, wie zahlreiche Beispiele aus der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Albertina zeigen.

Rondinone

Ab den 1990er-Jahren erarbeitet Rondinone eine Werkgruppe, die aus einer Vielzahl kreisförmiger Gemälde besteht und zu der auch diese Arbeit zählt. Auf einer runden Leinwand mit einem Durchmesser von 270 cm zieht er mit Acrylfarbe sieben konzentrische Kreise in unterschiedlicher Breite und Farbigkeit. Mit der Strahlkraft einer Leuchtreklame scheint die runde Form dem Betrachter entgegen – die Abwesenheit von Erzählung und Handlung verstärkt die leuchtende Klarheit der Farben massiv. Rondinone beschreibt seine Werke prosaisch als „großformatige Sprühbilder mehrfarbiger, konzentrischer Kreise“. Den Titel jedes einzelnen setzt der Künstler aus einer Nummer und dem Datum der Entstehung zusammen, das er akribisch mit Tag, Monat und Jahr ausschreibt.

Philip Taafe, Unit of Direction

Die Spiralform von Philip Taaffes Werk Unit of Direction, das Malerei und aufwendige Druckverfahren kombiniert, geht auf einen langen geistigen Prozess und eine umfassende Suche in den Schätzen seiner umfangreichen Bibliothek zurück. Neben Erinnerungen an verschiedenste Formen des Ornaments von den geometrischen Bodenmosaiken der Römer und des Hellenismus über die islamische Arabeske und indische Mandalas bis zum Japonismus um 1900 verbergen sich in Unit of Direction hinter der strengen Sogwirkung der Spirale auch Naturformen verschiedener Schneckenund Muschelarten.

Robert Schaberl, ZF aubergine dance with warm rose 4-6 2019 (290x)

Robert Schaberls konzentrische Abstraktionen, die er in verschiedenen farblichen Abstufungen zwischen matt und glänzend ausführt, entstehen durch die Überlagerung von bis zu 70 Farbschichten auf einem horizontal rotierenden Bildträger. Sie gehen auf frühe fotografische Experimente mit Alltagsgegenständen wie Gläsern und biomorphen Rundformen wie Pilzen zurück und legen auf den ersten Blick formale Vergleiche mit Werken der Konkreten Kunst wie den kryptischen Kreisbildern von Hermann J. Painitz und den Targets von Jasper Johns nahe. Doch ist Schaberls Ästhetik des Runden vor allem sinnliche Überwältigung, eine Schule der Empfindsamkeit, der Versuch, Licht in seiner schillernden Qualität zur Erscheinung zu bringen.

Zur Ausstellung

Trends sind wiederkehrend, sei es im Design, in der Mode, in der Musik oder Kunst: Auch in der Gegenwartskunst ist darum die Form der kreisrunden Scheibe gar nicht so selten, die von Florenz ausgehend erstmals im späten Quattrocento Karriere macht, als Ausdruck göttlicher Harmonie: Jeder Punkt bezieht sich auf das Zentrum, den Kreismittelpunkt– auch dies eine Wiederkehr, eine Rückkehr zum Ursprung.

Besonders in der Malerei der Renaissance gewinnen Tondi zwischen 1450 und 1510 zunehmend an Bedeutung. Das früheste klassische Rundbild ist La grande Pietà ronde des Niederländers Johan Maelwael aus der Zeit um 1400. Im ersten Jahrzehnt des folgenden Jahrhunderts schafft Michelangelo sein Tondo Doni, das als eine seiner berühmtesten Arbeiten in die Kunstgeschichte eingeht. Auch Raffael fertigt mit seiner Madonna della Seggiola – auch Madonna della Sedia – von 1514 ein wichtiges Tondo an. Über 400 Jahre bleibt das Phänomen des Rundbilds gänzlich verschwunden. Erst in den 1960er-Jahren, als amerikanische Künstler wie Frank Stella, Sol LeWitt und Jackson Pollock ihre »shaped canvases« entwickeln – »geformte Leinwände«, mit denen sie das ewig gleich rechteckige Tafelbild zu überwinden trachten –, gewinnt das Tondo wieder an Aufmerksamkeit. Heute erleben Tondi erneut ein Comeback. Immer wieder wählen internationale genauso wie österreichische Künstlerinnen und Künstler die runde Form, wie zahlreiche Beispiele aus der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Albertina zeigen.

Rondinone

Ab den 1990er-Jahren erarbeitet Rondinone eine Werkgruppe, die aus einer Vielzahl kreisförmiger Gemälde besteht und zu der auch diese Arbeit zählt. Auf einer runden Leinwand mit einem Durchmesser von 270 cm zieht er mit Acrylfarbe sieben konzentrische Kreise in unterschiedlicher Breite und Farbigkeit. Mit der Strahlkraft einer Leuchtreklame scheint die runde Form dem Betrachter entgegen – die Abwesenheit von Erzählung und Handlung verstärkt die leuchtende Klarheit der Farben massiv. Rondinone beschreibt seine Werke prosaisch als „großformatige Sprühbilder mehrfarbiger, konzentrischer Kreise“. Den Titel jedes einzelnen setzt der Künstler aus einer Nummer und dem Datum der Entstehung zusammen, das er akribisch mit Tag, Monat und Jahr ausschreibt.

Philip Taafe, Unit of Direction

Die Spiralform von Philip Taaffes Werk Unit of Direction, das Malerei und aufwendige Druckverfahren kombiniert, geht auf einen langen geistigen Prozess und eine umfassende Suche in den Schätzen seiner umfangreichen Bibliothek zurück. Neben Erinnerungen an verschiedenste Formen des Ornaments von den geometrischen Bodenmosaiken der Römer und des Hellenismus über die islamische Arabeske und indische Mandalas bis zum Japonismus um 1900 verbergen sich in Unit of Direction hinter der strengen Sogwirkung der Spirale auch Naturformen verschiedener Schneckenund Muschelarten.

Robert Schaberl, ZF aubergine dance with warm rose 4-6 2019 (290x)

Robert Schaberls konzentrische Abstraktionen, die er in verschiedenen farblichen Abstufungen zwischen matt und glänzend ausführt, entstehen durch die Überlagerung von bis zu 70 Farbschichten auf einem horizontal rotierenden Bildträger. Sie gehen auf frühe fotografische Experimente mit Alltagsgegenständen wie Gläsern und biomorphen Rundformen wie Pilzen zurück und legen auf den ersten Blick formale Vergleiche mit Werken der Konkreten Kunst wie den kryptischen Kreisbildern von Hermann J. Painitz und den Targets von Jasper Johns nahe. Doch ist Schaberls Ästhetik des Runden vor allem sinnliche Überwältigung, eine Schule der Empfindsamkeit, der Versuch, Licht in seiner schillernden Qualität zur Erscheinung zu bringen.

Blickpunkt Marie Jo Lafontaine

Tränen aus Stahl

27 Monitore bilden, zu einer Pyramide angeordnet, die Projektionsfläche für die filmische Inszenierung eines Körperkults. Hautnah gleitet die Kamera über schöne, athletische Männerkörper. Im Mittelpunkt der Installation steht die Idealisierung des trainierten und trainierenden Körpers, der als Muskelmaschine hart und aggressiv erscheint.

Details

Mitte der 1980er-Jahre lernt die belgische Künstlerin Marie-Jo Lafontaine in einem Fitnesscenter in New York das Powertraining kennen, ein hochintensives Muskeltraining bis an die Schmerzgrenze. Sie immer wieder zu überschreiten, sowohl mental als auch körperlich, soll Kraft und Muskelumfang steigern. Die fortgesetzte physische und psychische Selbstüberwindung und die damit verbundene, stark erotisch aufgeladene Ästhetik interessieren Lafontaine Mitte der 1980er-Jahre sehr. In Marseille entdeckt die Künstlerin einen Powertraining-Club, castet einige der dort Trainierenden und konzipiert anhand ihrer Eindrücke aus New York das Video Les larmes d’acier. Die Powertraining-Szene ist damals tendenziell homoerotisch und sadomasochistisch besetzt, im Gegensatz zum asexuellen klassischen Bodybuilding. Lafontaine stellt auf den 27 Monitoren ein hypermaskulines Rollenklischee zur Schau, das zur Entstehungszeit ihrer Arbeit gerade besonders en vogue ist: Männer sind Krieger – hart und unerbittlich, auch zu sich selbst.

Der Titel Les larmes d’acier (Tränen aus Stahl) ist nicht nur ein Oxymoron, sondern auch eine historische Anspielung: Während des Zweiten Weltkrieges nannten die Belgier den Bombenregen der deutschen Luftwaffe stählerne Tränen. Die gesamte Installation –Filmsequenzen und Musik – stellt Widersprüchliches einander gegenüber: Körper und Maschine, Lust und Leid, Sinnlichkeit und Tod.

Zur Ausstellung

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Mitte der 1980er-Jahre lernt die belgische Künstlerin Marie-Jo Lafontaine in einem Fitnesscenter in New York das Powertraining kennen, ein hochintensives Muskeltraining bis an die Schmerzgrenze. Sie immer wieder zu überschreiten, sowohl mental als auch körperlich, soll Kraft und Muskelumfang steigern. Die fortgesetzte physische und psychische Selbstüberwindung und die damit verbundene, stark erotisch aufgeladene Ästhetik interessieren Lafontaine Mitte der 1980er-Jahre sehr. In Marseille entdeckt die Künstlerin einen Powertraining-Club, castet einige der dort Trainierenden und konzipiert anhand ihrer Eindrücke aus New York das Video Les larmes d’acier. Die Powertraining-Szene ist damals tendenziell homoerotisch und sadomasochistisch besetzt, im Gegensatz zum asexuellen klassischen Bodybuilding. Lafontaine stellt auf den 27 Monitoren ein hypermaskulines Rollenklischee zur Schau, das zur Entstehungszeit ihrer Arbeit gerade besonders en vogue ist: Männer sind Krieger – hart und unerbittlich, auch zu sich selbst.

Der Titel Les larmes d’acier (Tränen aus Stahl) ist nicht nur ein Oxymoron, sondern auch eine historische Anspielung: Während des Zweiten Weltkrieges nannten die Belgier den Bombenregen der deutschen Luftwaffe stählerne Tränen. Die gesamte Installation –Filmsequenzen und Musik – stellt Widersprüchliches einander gegenüber: Körper und Maschine, Lust und Leid, Sinnlichkeit und Tod.

Friedensreich Hundertwasser | 313 Du soleil pour ceux qui pleurent en campagne, 1957 / 1959 | ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection
Friedensreich Hundertwasser | 313 Du soleil pour ceux qui pleurent en campagne, 1957 / 1959 | ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection
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Blickpunkt Friedensreich Hundertwasser

Fritz Stowasser – der sich, seit 1949 Friedensreich Hundertwasser nennt – ist ab den 1950er-Jahren Teil einer sich in Paris formierenden Avantgarde: zugleich ein Außenseiter, eigenständig und einzigartig in Bildfindung und Farbwahl. Mit seinem ausgeprägten persönlichen Stil ist sein Œuvre keiner Stilrichtung zuzuordnen.

Inspiriert durch die Ornamente und dekorativen Elemente Gustav Klimts, Egon Schieles und Paul Klees, schafft er sich eine eigene, oft mit chiffrierten Bedeutungen verbundene Motivwelt. Er knüpft an die Tradition des österreichischen Jugendstils an: In dessen stilisierten Wellenmustern sieht er die Idee natürlichen Wachstums versinnbildlicht. In der Auseinandersetzung mit der Natur und allem Organischen findet er zu einer Malerei, die Landschaftsformationen auf abstrakte Linien, Spiralen und Tropfenformen reduziert.

Details

Das zentrale Symbol seiner farbintensiven Bildwelt ist die Spirale – 1953 entsteht die erste. In diesem Jahr sieht Hundertwasser einen Kurzfilm über die Kunst von Psychiatriepatienten. Das Bild einer sich drehenden „Spirale, ich glaube in Blau und Rot, hat meinem Schaffen den entscheidenden Impuls gegeben. Mir wurde schwindlig bei der Erkenntnis, dass die unregelmäßige Spirale das Hauptgleichnis für Leben und Tod ist.“ Als sinnstiftendes Lebenselement, Symbol des Werdens und Vergehens, ist sie von da an aus seinem künstlerischen Repertoire nicht mehr wegzudenken.

Nüchtern-sachlicher Funktionalität misstraut Hundertwasser zeitlebens. Sie gilt ihm als menschenfeindlich. In seinen Gemälden und Aquarellen, aber auch in seinen Architekturen dominieren bunte Flächen, schiefe Ebenen, bauchige Säulen und begrünte Dachterrassen. Die unregelmäßige Formenvielfalt der Natur ist ihm Vorbild auf dem Weg in eine bessere Welt.

Zur Ausstellung

Das zentrale Symbol seiner farbintensiven Bildwelt ist die Spirale – 1953 entsteht die erste. In diesem Jahr sieht Hundertwasser einen Kurzfilm über die Kunst von Psychiatriepatienten. Das Bild einer sich drehenden „Spirale, ich glaube in Blau und Rot, hat meinem Schaffen den entscheidenden Impuls gegeben. Mir wurde schwindlig bei der Erkenntnis, dass die unregelmäßige Spirale das Hauptgleichnis für Leben und Tod ist.“ Als sinnstiftendes Lebenselement, Symbol des Werdens und Vergehens, ist sie von da an aus seinem künstlerischen Repertoire nicht mehr wegzudenken.

Nüchtern-sachlicher Funktionalität misstraut Hundertwasser zeitlebens. Sie gilt ihm als menschenfeindlich. In seinen Gemälden und Aquarellen, aber auch in seinen Architekturen dominieren bunte Flächen, schiefe Ebenen, bauchige Säulen und begrünte Dachterrassen. Die unregelmäßige Formenvielfalt der Natur ist ihm Vorbild auf dem Weg in eine bessere Welt.

Blickpunkt Sasha Okun

Öffnet mir das Tor zur Gerechtigkeit,
Damit ich eintrete…
Buch der Psalmen 118,19

Diese Worte aus dem Buch der Psalmen im Alten Testament schenken Sasha Okuns letztem und monumentalstem Werk den Titel. Sein Anlass sind die eigene unbarmherzige Erkrankung und der jüngste Tod seiner Frau nach langem Leiden.

Details

Einem ohnmächtigen Gott gleich steht der letzte Arzt in der Mitte dieses modernen Totentanzes. Ihm sind die Hände gebunden. Am Ende seiner Weisheit angekommen, kann auch er nicht mehr helfen– wie sehr ihn auch die Schwangere an seiner Seite bittet, dem zukünftigen Leben in ihrem Leib, Leid und Sterben zu ersparen. Mit jedem neuen Leben kommt auch der Tod ins Haus.

Ihr Pendant bittet nicht mehr den hilflosen Arzt: einer Furie gleich überschüttet er ihn mit Flüchen, wild gestikulierend auf seine eigene Krankheit im Kopf wie im Herzen weisend:

Links und rechts, aufgefädelt, in Reih und Glied Auf jenem letzten schmalen Bühnenstreifen, der den Gebrechlichen noch bleibt, zeigen alle auf ihre je eigenen Krankheiten zum Tode.

Geradezu lächerlich unterstreichen die an der Peripherie des drastischen Menschenaufzugs stehenden Torwächter die Vergeblichkeit der ärztlichen Kunst: Ihre Infusionsbeutel sind nur mehr komisches Attribut eines zum Scheitern verurteilten Überlebenswillens.

In dieser Welt gibt es kein Oben. Über den Menschen ist nur die tiefschwarze Nacht. Kein Licht, kein Rettungsschwimmer, keine Transzendenz. Kein Himmel. Nur Nacht.

Kein Jenseits ragt in diese Schwärze hinein. Dieses Bild ist ein Bild der Vergeblichkeit, der Hoffnungslosigkeit: eines der tiefsten und erschütterndsten Kunstwerke unserer Zeit, die nichts mehr verdrängt als Jammer und Tod.

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Einem ohnmächtigen Gott gleich steht der letzte Arzt in der Mitte dieses modernen Totentanzes. Ihm sind die Hände gebunden. Am Ende seiner Weisheit angekommen, kann auch er nicht mehr helfen– wie sehr ihn auch die Schwangere an seiner Seite bittet, dem zukünftigen Leben in ihrem Leib, Leid und Sterben zu ersparen. Mit jedem neuen Leben kommt auch der Tod ins Haus.

Ihr Pendant bittet nicht mehr den hilflosen Arzt: einer Furie gleich überschüttet er ihn mit Flüchen, wild gestikulierend auf seine eigene Krankheit im Kopf wie im Herzen weisend:

Links und rechts, aufgefädelt, in Reih und Glied Auf jenem letzten schmalen Bühnenstreifen, der den Gebrechlichen noch bleibt, zeigen alle auf ihre je eigenen Krankheiten zum Tode.

Geradezu lächerlich unterstreichen die an der Peripherie des drastischen Menschenaufzugs stehenden Torwächter die Vergeblichkeit der ärztlichen Kunst: Ihre Infusionsbeutel sind nur mehr komisches Attribut eines zum Scheitern verurteilten Überlebenswillens.

In dieser Welt gibt es kein Oben. Über den Menschen ist nur die tiefschwarze Nacht. Kein Licht, kein Rettungsschwimmer, keine Transzendenz. Kein Himmel. Nur Nacht.

Kein Jenseits ragt in diese Schwärze hinein. Dieses Bild ist ein Bild der Vergeblichkeit, der Hoffnungslosigkeit: eines der tiefsten und erschütterndsten Kunstwerke unserer Zeit, die nichts mehr verdrängt als Jammer und Tod.

Erwin Thorn | Thursday Morning at 6 o'clock, 1968/69 | ALBERTINA © Nachlass Erwin Thorn
Erwin Thorn | Thursday Morning at 6 o'clock, 1968/69 | ALBERTINA © Nachlass Erwin Thorn
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Blickpunkt Erwin Thorn

Die Werke des Wiener Künstlers Erwin Thorn bewegen sich an der Schnittstelle von Malerei und Skulptur. Einerseits sind seine Arbeiten aus der Tradition der konkreten, geometrischen, der abstrakten Kunst im Allgemeinen zu verstehen, anderseits weisen sie auch Elemente der Pop Art auf.

Details

In biomorphen skulpturalen Bildern bzw. bildhaften Skulpturen, aber auch in raumgreifenden Installationen beschäftigt sich Thorn vor allem mit der Beziehung zwischen Sprache und visueller Kommunikation. Rhythmus und Wellen, die auch an Schallwellen denken lassen und den klanghaften Aspekt von Sprache verdeutlichen, sind wichtige Anknüpfungspunkte in seinen konzeptuellen Arbeiten. Thorns Bildkörper, seine organisch fließenden Formen schmiegen sich in Ecken, heben sich unförmig von der Wand ab, überwinden das klassische Bildformat. Die Objekte erinnern an verfestigtes Magma, und die subtil gesetzten Farben – häufig Orange – akzentuieren die weißen Arbeiten, die von Licht- und Schattenspielen moduliert werden.

Zur Ausstellung

In biomorphen skulpturalen Bildern bzw. bildhaften Skulpturen, aber auch in raumgreifenden Installationen beschäftigt sich Thorn vor allem mit der Beziehung zwischen Sprache und visueller Kommunikation. Rhythmus und Wellen, die auch an Schallwellen denken lassen und den klanghaften Aspekt von Sprache verdeutlichen, sind wichtige Anknüpfungspunkte in seinen konzeptuellen Arbeiten. Thorns Bildkörper, seine organisch fließenden Formen schmiegen sich in Ecken, heben sich unförmig von der Wand ab, überwinden das klassische Bildformat. Die Objekte erinnern an verfestigtes Magma, und die subtil gesetzten Farben – häufig Orange – akzentuieren die weißen Arbeiten, die von Licht- und Schattenspielen moduliert werden.

BLICKPUNKT Roy Lichtenstein

Gemeinsam mit Andy Warhol und Jackson Pollock zählt Roy Lichtenstein zu den einflussreichsten und bedeutendsten amerikanischen Künstlern des 20. Jahrhunderts.

Bekannt ist der Gründervater der Pop-Art für seine klischeehaften Blondinen, Kriegshelden und Comic-Figuren, die er oft mit Sprechblasen versieht. Mit knalligen, leuchtenden Farben, klaren Linien und den charakteristischen Ben-Day-Punkten, die die billige Drucktechnik der Comics imitierten, prägt er in den 1960er Jahren mit seiner Cartoon-Ästhetik die amerikanische Kunstszene.

Details

Noch während der internationalen Vorherrschaft des abstrakten Expressionismus kehren viele Künstler in Großbritannien und den USA zu einer gegenständlichen, selbstreflexiven Kunst zurück und reißen mit viel Ironie die traditionellen Grenzen zwischen hoher Kunst und Alltagskultur nieder. Einem demokratischen Ideal folgend, gilt ihr Interesse den Alltagsbildern der industriellen, urbanen und kommerzialisierten Gesellschaft zur Zeit des Wirtschaftsaufschwungs der Nachkriegsjahre. Lichtenstein verhilft der amerikanischen Pop-Art 1961 mit seiner bahnbrechenden Erfindung in Form der Aneignung der neuen und aggressiven Bildsprache von Populärkultur, Werbeanzeigen und Cartoons zum Durchbruch. Mit seiner peniblen Malerei nach trivialen Comicmotiven erteilt Lichtenstein dem Pathos des subjektiven Ausdrucks in der Kunst eine Absage. Die rein kommerziellen Überlegungen unterworfene, auf einen Geschmack der Massen ausgerichtete und von Grafikdesignern, Werbefachleuten, Firmenchefs und Wahrnehmungspsychologen optimierte Bilderflut vermittelt für Lichtenstein das 3 Wesen seiner Zeit. Sein Künstlerleben widmet er stets liebevoll ironisch, später zunehmend kritisch, der Erforschung der ästhetischen Werte und etablierten Klischees der durch Kommerzialisierung und Industrialisierung geprägten Bilder zeitgenössischer Konsumkultur. Die Ambivalenz zwischen High und Low Art, zwischen Künstler und Maschine, zwischen Originalität und Kopie, zwischen Kunstwerk und Reproduktion ist Thema seiner Kunst.

Zur Ausstellung

Roy Lichtenstein | Tapete mit Interieur mit blauem Fußboden, 1992 | ALBERTINA, Wien © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024 | Foto: ALBERTINA, Wien
Roy Lichtenstein | Tapete mit Interieur mit blauem Fußboden, 1992 | ALBERTINA, Wien © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024 | Foto: ALBERTINA, Wien
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Noch während der internationalen Vorherrschaft des abstrakten Expressionismus kehren viele Künstler in Großbritannien und den USA zu einer gegenständlichen, selbstreflexiven Kunst zurück und reißen mit viel Ironie die traditionellen Grenzen zwischen hoher Kunst und Alltagskultur nieder. Einem demokratischen Ideal folgend, gilt ihr Interesse den Alltagsbildern der industriellen, urbanen und kommerzialisierten Gesellschaft zur Zeit des Wirtschaftsaufschwungs der Nachkriegsjahre. Lichtenstein verhilft der amerikanischen Pop-Art 1961 mit seiner bahnbrechenden Erfindung in Form der Aneignung der neuen und aggressiven Bildsprache von Populärkultur, Werbeanzeigen und Cartoons zum Durchbruch. Mit seiner peniblen Malerei nach trivialen Comicmotiven erteilt Lichtenstein dem Pathos des subjektiven Ausdrucks in der Kunst eine Absage. Die rein kommerziellen Überlegungen unterworfene, auf einen Geschmack der Massen ausgerichtete und von Grafikdesignern, Werbefachleuten, Firmenchefs und Wahrnehmungspsychologen optimierte Bilderflut vermittelt für Lichtenstein das 3 Wesen seiner Zeit. Sein Künstlerleben widmet er stets liebevoll ironisch, später zunehmend kritisch, der Erforschung der ästhetischen Werte und etablierten Klischees der durch Kommerzialisierung und Industrialisierung geprägten Bilder zeitgenössischer Konsumkultur. Die Ambivalenz zwischen High und Low Art, zwischen Künstler und Maschine, zwischen Originalität und Kopie, zwischen Kunstwerk und Reproduktion ist Thema seiner Kunst.

Ben Willikens | Raum 1777, Camera Silens, 2024 | ALBERTINA, Wien | Leihgabe des Künstlers
Ben Willikens | Raum 1777, Camera Silens, 2024 | ALBERTINA, Wien | Leihgabe des Künstlers
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Blickpunkt Ben Willikens

In Camera Silens thematisiert Ben Willikens die Unmenschlichkeit mancher fehlgeleiteter Behandlungs- und Handlungsmethoden in psychiatrischen Anstalten: Der Insasse des dargestellten Raumes wird von jeglichem Schall abgeschottet, keinerlei Echo ist zu vernehmen.

Details

Die absolute Stille und das Unterdrücken aller äußeren Einflüsse, die dem Gehirn helfen könnten, sich zu regenerieren, sind über eine lange Dauer nicht auszuhalten. Mit seiner Motivwahl spiegelt Willikens die Kälte, Beklemmung und Grausamkeit, die freiheitsberaubende Einrichtungen ausstrahlen, wider.

Carceri – Archäologie des Schweigens

Das menschenlose Werk von Ben Willikens, dem legendären Rektor der Münchner Kunstakademie und Meister der Ästhetik der leeren Räume, schlägt uns durch die frappierende Kälte in seinen Bann. Die großformatigen Gemälde, die meist streng komponierte Räume ohne Menschen zeigen, machen Willikens in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre ebenso berühmt wie unverwechselbar. Der 1939 in Leipzig geborene Willikens rutscht 1969 in eine tiefe seelische Krise und verbringt ein Jahr in einer psychiatrischen Anstalt. Dieses einschneidende Erlebnis verarbeitet der Künstler in meist großformatigen Acrylgemälden. Zwischen 1970 und 1981 entstanden, zeigen diese verschiedenen Innenräume – Schlafsäle, Flure, Waschräume. Obwohl die Anstaltsbilder ohne Menschen auskommen, steht darin doch das Individuum im Mittelpunkt. Es spiegelt sich in genau jenen Objekten, die seiner Inhaftierung dienen. Die jüngst entstandene Serie Carceri – Archäologie des Schweigens ist durch die Schriften Michel Foucaults inspiriert. In insgesamt 16 Gemälden entwickelt Willikens die Bildsujets der 1970er-Jahre weiter: Die Räume der Anstalt werden betreten, die Einrichtung durch die stetige Vergrößerung der Gegenstände wie Betten, Lampen und Waschgelegenheiten nahezu unkenntlich gemacht. Es sind einmal mehr beklemmende Räume, die der Künstler schafft – ein Kerker der Seele. Ihnen wohnt eine meditative Stille inne, die existenzielle Aussagen über die dunkelsten Abgründe des Menschen erlaubt.

Obersalzberg

Gewiss sind die Wahl der Motive und ihre Darstellungsweise eng mit Ereignissen im Leben von Ben Willikens verbunden: Bereits im Alter von vier Jahren erlebt er im Dezember 1943 die traumatisierende Bombardierung seiner Heimatstadt Leipzig. Nur wenige Jahre später sterben sein Vater und seine Schwester. Trotzdem sind seine Werke von einer Tragweite, die über seine Biografie hinausreicht. Die Eiseskälte der Anstaltsbilder, die den Künstler schlagartig bekannt machen, findet sich auch in seinem Spätwerk: Man wirft einen schaudernden Blick in aus einem Fenster von Hitlers „Berghof“ am Obersalzberg. Die Bilder zeigen die Ästhetik des Bösen in seiner Banalität. Die Grausamkeit der Leere verleiht auch diesen Werken ihre besondere Kraft. Gerade die Räume der Macht interessieren den Künstler. Doch Macht ist für ihn nichts, was er anbeten oder bewundern würde. Ganz im Gegenteil: Macht erscheint bei ihm als Ausdruck einer Niederlage der Humanität, als Ausdruck der Unterdrückung. Seine Machträume stellen Metaphern für jene Bestialität dar, die er am „Dritten Reich“ so verabscheut.

Zur Ausstellung

Die absolute Stille und das Unterdrücken aller äußeren Einflüsse, die dem Gehirn helfen könnten, sich zu regenerieren, sind über eine lange Dauer nicht auszuhalten. Mit seiner Motivwahl spiegelt Willikens die Kälte, Beklemmung und Grausamkeit, die freiheitsberaubende Einrichtungen ausstrahlen, wider.

Carceri – Archäologie des Schweigens

Das menschenlose Werk von Ben Willikens, dem legendären Rektor der Münchner Kunstakademie und Meister der Ästhetik der leeren Räume, schlägt uns durch die frappierende Kälte in seinen Bann. Die großformatigen Gemälde, die meist streng komponierte Räume ohne Menschen zeigen, machen Willikens in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre ebenso berühmt wie unverwechselbar. Der 1939 in Leipzig geborene Willikens rutscht 1969 in eine tiefe seelische Krise und verbringt ein Jahr in einer psychiatrischen Anstalt. Dieses einschneidende Erlebnis verarbeitet der Künstler in meist großformatigen Acrylgemälden. Zwischen 1970 und 1981 entstanden, zeigen diese verschiedenen Innenräume – Schlafsäle, Flure, Waschräume. Obwohl die Anstaltsbilder ohne Menschen auskommen, steht darin doch das Individuum im Mittelpunkt. Es spiegelt sich in genau jenen Objekten, die seiner Inhaftierung dienen. Die jüngst entstandene Serie Carceri – Archäologie des Schweigens ist durch die Schriften Michel Foucaults inspiriert. In insgesamt 16 Gemälden entwickelt Willikens die Bildsujets der 1970er-Jahre weiter: Die Räume der Anstalt werden betreten, die Einrichtung durch die stetige Vergrößerung der Gegenstände wie Betten, Lampen und Waschgelegenheiten nahezu unkenntlich gemacht. Es sind einmal mehr beklemmende Räume, die der Künstler schafft – ein Kerker der Seele. Ihnen wohnt eine meditative Stille inne, die existenzielle Aussagen über die dunkelsten Abgründe des Menschen erlaubt.

Obersalzberg

Gewiss sind die Wahl der Motive und ihre Darstellungsweise eng mit Ereignissen im Leben von Ben Willikens verbunden: Bereits im Alter von vier Jahren erlebt er im Dezember 1943 die traumatisierende Bombardierung seiner Heimatstadt Leipzig. Nur wenige Jahre später sterben sein Vater und seine Schwester. Trotzdem sind seine Werke von einer Tragweite, die über seine Biografie hinausreicht. Die Eiseskälte der Anstaltsbilder, die den Künstler schlagartig bekannt machen, findet sich auch in seinem Spätwerk: Man wirft einen schaudernden Blick in aus einem Fenster von Hitlers „Berghof“ am Obersalzberg. Die Bilder zeigen die Ästhetik des Bösen in seiner Banalität. Die Grausamkeit der Leere verleiht auch diesen Werken ihre besondere Kraft. Gerade die Räume der Macht interessieren den Künstler. Doch Macht ist für ihn nichts, was er anbeten oder bewundern würde. Ganz im Gegenteil: Macht erscheint bei ihm als Ausdruck einer Niederlage der Humanität, als Ausdruck der Unterdrückung. Seine Machträume stellen Metaphern für jene Bestialität dar, die er am „Dritten Reich“ so verabscheut.

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